Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst,
liebe Mitglieder der Gebetsgemeinschaft um geistliche, besonders um Priesterberufe,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

 

 

„Es herrschte große geistige Not“ - so wird die Zeit um 1926 beschrieben, in der die sächsische Prinzessin Maria Immaculata sich herausfordern ließ, eine Gemeinschaft zu gründen, die die Seelsorge, besonders die Priester, in besonderer Weise unterstützte. Diese sollte mit dafür sorgen, dass Kandidaten, die ihr Studium nicht bezahlen konnten, materiell geholfen wurde. Aber in besonderer Weise wollte sie diese geistige Not, die im Einzelnen nicht zu beschreiben ist, durch eine Gebetsgemeinschaft umwandeln und Zeit und Kirche erneuern.

 

Durch eine Gebetsgemeinschaft - also nicht dadurch, dass man zuerst ein Programm entwickelt und etwas angeht, um es hinzukriegen, sondern indem man etwas empfängt. Wenn wir heute auf 90 Jahre dieser Gebetsgemeinschaft zurückschauen, dann ist das zunächst einmal ein Grund, großen Dank zu sagen. Auch deshalb weiß ich mich in die Pflicht genommen, als Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste, heute Morgen diesen Dankgottesdienst hier in Freiburg, am Ursprungsort dieser Gemeinschaft, zu feiern. Wir feiern das, was in diesen Jahrzehnten gebetet, erwirkt und gearbeitet wurde, um es dem anzuvertrauen, der um uns am besten weiß.

 

 

Nun kann man sagen, diese Gebetsgemeinschaft ist „in die Jahre gekommen“. Die Situation, in der wir uns befinden, vor allem auch die großen Um- und Abbrüche in der Pastoral, lassen zu, dass wir auch von einer „Not“ sprechen können. In dieser Situation zeigt sich die Gebetsgemeinschaft vornehmlich als ein Gesicht von älteren Mitgliedern, die unentwegt - und deshalb ist der Dank in besonderer Weise auszusprechen -, diese Sendung des Ursprungs fortsetzen. Man könnte sagen, in dieser Gebetsgemeinschaft zeigt sich allgemein, was wir in Kirche und Gesellschaft wahrnehmen: Dass wir älter werden, und dass die Zahl der Jüngeren kleiner ist. Aber kann es nicht auch sein, dass wir in unserer Zeit zunächst einmal nicht an eine Gebetsgemeinschaft denken, sondern dass wir Programme entwickeln, die Strukturen ändern, dass wir uns fragen, wie man, wie wir das hinkriegen, um Kirche in die Zukunft zu führen? Was unternehmen wir und wie bekommen wir es hin, dass die Kirche eine Gestalt gewinnt, die ein junges Gesicht hat, und die in unserer Gesellschaft weniger angegriffen als vielmehr akzeptiert ist? An Gebet würden wir nicht in erster Linie denken, sondern sogar davon sprechen: Das kann man ja ruhig machen, aber wir müssen auch sonst noch etwas machen.

 

Es kann auch sein, liebe Schwestern und Brüder, dass wir das Wort des Herrn, das die Grundlage dieser Gemeinschaft bildet, in seiner Tiefe nicht so ernst nehmen. Es gibt zwei Bitten, die Jesus direkt in den Evangelien ausspricht: Es ist einmal die Bitte, dass wir um Arbeiter für die Ernte Gottes bitten (vgl. Mt 9, 38). Und es ist die Bitte: „Lass alle eins sein Vater, wie du in mir bist und ich in dir bin“ (Joh 17,21). Die Bitte um die Einheit der Christen und die Bitte um Arbeiter für den Weinberg des Herrn - gehören sie zu unseren täglichen Gebeten?

 

Wir haben diese Bitte um Arbeiter im Weinberg des Herrn viele Jahre und Jahrzehnte verstanden als unmittelbare Bitte um Priesterberufe, vielleicht dann ausgeweitet um geistliche Berufe in den Orden und Gemeinschaften. Wir dürfen durchaus sagen, wir bitten heute auch darum, dass Frauen und Männer in den unterschiedlichen Diensten und Ämtern als Laien sich engagieren und sich herausgerufen wissen, für die Ernte Gottes mit zu sorgen.

 

Wir alle, als getaufte Christinnen und Christen, sind darin gemeinsam gerufen, gesandt, gemeinsam Kirche. So müssen wir auch feststellen, dass dadurch aber der Blick auf die unmittelbare Berufung zum priesterlichen Dienst und in die Gemeinschaft derer, die in den Evangelischen Räten des Gehorsams, der Armut und der Jungfräulichkeit leben, etwas zurückgestellt wird. Ja, es gibt sogar Stimmen, die ich in das Wort eines Priesters fassen kann, die sagen: „Ich bete nicht. Denn die Kirche ist selbst schuld, wenn es keine Priester gibt. Sie bräuchte nur die Bedingungen zur Zulassung zu ändern, dann wären sie wieder da. Deshalb bete ich nicht.“ Das klingt danach, dass wir nur ein paar Stellschrauben richtig drehen, ein paar Bedingungen ändern müssen, und schon wächst die Zahl der Arbeiter in diesem unmittelbaren und eigenen Sinn. Was tun wir, wenn wir so denken und reden?

 

Hinzu kommt, dass durch den Missbrauch und den dadurch ausgelösten Skandal, die zölibatäre Lebensform in Misskredit geraten und verdunkelt worden ist. Liebe Schwestern und Brüder, allenthalben hören wir, dass der Zölibat weg muss. Ich verhehle nicht, dass ich die Sorge vieler, die so argumentieren, durchaus verstehen kann, weil es eine Sorge ist um die Versorgung der Gemeinden, besonders im Blick auf die sonntägliche Eucharistie. Zugleich sehe ich aber auch die Gefahr, dass man den Zölibat schlecht und dadurch tot reden kann, und nicht zugleich auch aufleuchten lässt, was er bedeutet, dass es um die Lebensform Jesu geht. Was mache ich mit dieser Lebensform, wenn ich das nicht genug in den Blick nehme? Was mache ich, wenn ich das Zeugnis unzähliger Frauen und Männer in den Evangelischen Räten und in der priesterlichen Lebensform nicht genügend akzentuiere, damit es aufleuchtet auch da, wo es eben nicht Skandale ausgelöst hat?

 

Kann ich auch darum beten? Daran glauben, dass der Herr der ist, bei dem nichts unmöglich ist? Wenn Jesus zeigt, dass man so leben kann, wenn durch die Geschichte der Kirche hindurch erwiesen ist, dass man so leben kann, kann man dann nicht davon ausgehen, dass der Herr auch heute, wie es eben im Kyrie hieß, Herzen anrührt, sie unruhig macht? Es ist ja nicht so, dass bloß wegen des Zölibates Priesterberufe geringer werden, sondern die Sensibilität für diese Lebensform der Evangelischen Räte, die zum Ordensberuf oder einem Ruf in ein Säkularinstitut oder eine Geistliche Gemeinschaft führt, ist doch sehr gering. Es lohnt sich, darum zu beten, dass diese Sensibilität wächst. Da kann man nichts machen, aber man kann viel durch Offenheit des Herzens und großes und großmütiges Vertrauen auf den Herrn empfangen.

 

Liebe Schwestern und Brüder, in diesen Kontext fügen sich gut die Texte ein, die die Kirche für diesen heutigen Sonntag uns vorlegt und aus dem großen Schatz der Heiligen Schrift ausgewählt hat. Da ist einmal die Situation des Propheten Habakuk, die auch heute gesagt werden könnte, wenn er ausruft: „Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! … Warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben und siehst der Unterdrückung zu“ (Hab 1, 2-3)? - Man braucht nur an Syrien und besonders an Aleppo zu denken! Aber man kann diesen Text durchaus auch lesen auf die pastorale Notsituation in unseren Gemeinden. Ein Schrei hin zu dem, der es doch bewirken könnte, der es wirklich machen kann. Und dann erhält der Prophet die Antwort, dass es kommt, und dass er vertrauen soll, dass Gott die Änderung bringen wird, ja, es heißt sogar: „Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben“ (Hab 2,4). Ein Wort, das der Apostel Paulus aufgegriffen hat im ersten Kapitel des Römerbriefes: „Der Gerechte bleibt wegen seines Glaubens am Leben“ (Röm 1, 17) - ein Wort, das in der Reformation Geschichte geschrieben hat. Und heute? Warte, warte darauf, dass er es tut. Schreie wohl, benenne die Not, aber der Gerechte bleibt wegen seines Glaubens am Leben. Denn, und hier möchte ich direkt die Verbindung zum zweiten Timotheusbrief sehen: „Wir haben nicht einen Geist der Verzagtheit empfangen, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2 Tim 1,7), eine Kraft, die aus der Liebe Gottes kommt und die ganz nüchtern und besonnen ist, die sich nicht irritieren lässt, sondern aus der Gnade lebt, die wir durch Taufe und Weihe empfangen haben. Liebe Schwestern und Brüder, wir haben kein Recht, verzagt zu sein wegen dieses Geistes der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

 

Und schließlich im Evangelium die Bitte der Jünger: „Stärke unseren Glauben“ (Lk 17,5-6). Würden wir das doch öfters vom Herrn erbitten: Stärke unseren Glauben. Kann es nicht sein, dass die tiefste geistige Not genau die ist, dass uns in der Vielfalt der täglichen Besorgnisse und Angebote der innere Blick auf den, der es richten und bewirken kann, abgeht? Dass wir deshalb diese Bitte brauchen: Stärke unseren Glauben! Und wie ist es uns zumute, wenn er uns sagt: „Wenn dein Glaube nur so groß wäre“ - und das heißt eigentlich so klein! - „wie ein Senfkorn, dann könntest du Berge versetzen“ (Mt 17,20).

 

Prinzessin Maria Immaculata hat wahrscheinlich dieses Wort ganz ernst genommen. In diesem Dienst, liebe Schwestern und Brüder, stehen wir mit Ihm, der umher geht und uns bedient, der darin einfach seine Schuldigkeit tut, uns zu bedienen, zu beschenken, zu erlösen. In dieses Engagement nimmt er uns alle mit, auch in die Bitte um Arbeiter für seinen Weinberg, um Priester und Ordensberufe. Wir brauchen, bei allen Diensten die wertvoll, wichtig und im Laufe der Jahrzehnte gewachsen sind, wir brauchen auch Priester!

 

Ich möchte Sie einladen, dass Sie, liebe Schwestern und Brüder, am heutigen Sonntag und in Ihren Gebetsgemeinschaften das Schlussgebet aus dem letzten Lied dieser von Pater Becker komponierten Heiligen Messe aufnehmen: „Wenn du mich rufst, Herr, lass mich dich hören.“ Lass das junge Menschen sprechen: „Wenn du mich rufst, Herr, lass mich dich hören. Lass mich den Weg erkennen, der hinführt zu dir. Wenn deine Hand nach mir greift, lass mich nicht weichen. Mach du mich stark in der Liebe zu dir.“ - Es kann auch ein Gebet für uns selber sein.

 

Amen.

 

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Bischof Dr. Felix Genn

 

Predigt im Pontifikalamt aus Anlass des 90-jährigen Jubiläums des Päpstlichen Werkes für Geistliche Berufe am 02.10.2016 in Freiburg