Zur Zukunft kirchlicher Berufe


Für wen bin ich in Zukunft da, wenn ich heute Priester, PastoralreferentIn oder GemeindereferentIn werde?



Kirchliche Berufe in bewegten Zeiten

Das Wichtigste vorweg: Ich werbe ausdrücklich für kirchliche Berufe. Die Kirche hat den Menschen unserer Zeit nicht nur etwas zu geben, sondern die entscheidende Botschaft, die Menschen hören dürfen. Es ist die Botschaft von Gott, dem liebenden Schöpfer des Menschen, von seinem Sohn Jesus Christus, der sich für uns hingegeben hat und immer bei uns bleibt, und von seinem Geist, der Menschen ergreift und mit Leben erfüllt. Gott ruft in die Verantwortung und in die Freiheit. Dafür braucht es Zeuginnen und Zeugen, nicht nur, aber eben auch die Menschen in kirchlichen Berufen. Sie haben einen spezifischen Auftrag innerhalb der Kirche – und sie sollen Menschen sein, die es wagen, die Kirchentüren weit zu öffnen und sich auf die Straßen und Plätze unserer Welt zu begeben. Papst Franziskus schreibt in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium” (127): „Nun, da die Kirche eine tiefe missionarische Erneuerung vollziehen möchte, gibt es eine Form der Verkündigung, die uns allen als tägliche Pflicht zukommt. Es geht darum, das Evangelium zu den Menschen zu bringen, mit denen jeder zu tun hat, zu den Nächsten wie zu den Unbekannten. Es ist die informelle Verkündigung, die man in einem Gespräch verwirklichen kann, und es ist auch die, welche ein Missionar handhabt, wenn er ein Haus besucht. Jüngersein bedeutet, ständig bereit zu sein, den anderen die Liebe Jesu zu bringen, und das geschieht spontan an jedem beliebigen Ort, am Weg, auf dem Platz, bei der Arbeit, auf einer Straße.“
Wenn wir die Frage stellen, für wen unsere Hauptamtlichen in Zukunft da seien, dann lautet meine Antwort: Für alle! Damit wird jeder Versuchung zur Konzentration auf eine kleine Gruppe oder auf kirchliche Zirkel widersprochen. Vertreterinnen und Vertreter aller Berufsgruppen haben teil am missionarischen Auftrag der Kirche nach innen und nach außen. Das macht die Arbeit lohnend und herausfordernd.
Gesellschaft und Kirche sind in einem Prozess der Veränderung. Die Kirche wird kleiner und dafür gibt es nicht nur den einen Grund. Zum einen hat die Kirche durch Versagen in der jüngsten Geschichte manchem Menschen Anlass gegeben, sie zu verlassen. Zum anderen wird die Welt säkularer und die Bedeutung institutioneller Glaubensgemeinschaften schwindet. Immer weniger Kinder werden getauft. Menschen können sich frei für oder gegen die Kirche entscheiden, ohne Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Man muss das nicht nur negativ sehen. Die Kirche ist zunehmend gefordert, ihre Anliegen, Begründungen und Angebote wirklich argumentativ zu vertreten. Glaube und Freiheit haben die Chance, zusammenzufinden. Das fordert von den Menschen in kirchlichen Berufen die Gabe, Glaubenseinsichten, eigene Erfahrungen und die Vernunft zu verbinden, um auch einem modernen Menschen einen Glaubenszugang zu ermöglichen, der zu einem Leben in Fülle verhilft.

Die traditionellen Ortsgemeinden verändern sich, und damit auch die Formen kirchlicher Beheimatung. Für die meisten Gläubigen war und ist die Gemeinde vor Ort die entscheidende Form kirchlicher Beheimatung. Die Präsenz der Kirche vor Ort bleibt auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler der Nähe zu den Menschen. Kirche braucht Gesichter, die für ihre Botschaft stehen und erkennbar sind. Und das können Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche sein. Zugleich werden Menschen mobiler. Milieus haben sich aufgelöst, und neben den Territorialgemeinden bilden sich andere Formen kirchlicher Beheimatung heraus, die nicht als Konkurrenz zur Gemeinde gesehen werden dürfen. Die territoriale Präsenz ist nicht für alle die Garantie der Nähe zur Kirche. Viele begegnen der Kirche nicht mehr in der Gemeinde vor Ort, sondern in der Schule, in der Kita, in der Caritas oder auch in Angeboten, die Menschen je nach Bedarf wählen. Damit bilden sich vielfältige Kirchorte heraus, die im besten Fall vernetzt werden. In dieser Vernetzung besteht in Zukunft ein wichtiger Dienst kirchlicher Berufe. Kurzum: der kirchliche Dienst wird anspruchsvoller, differenzierter, vielfältiger und weniger daran orientiert, Bestehendes zu bewahren. Vielmehr wird es darum gehen, Neues zu probieren, Experimente zu wagen, nach neuen Ansprechpartnerinnen und –partnern zu suchen und sich nicht auf Bestehendem auszuruhen.
Kirchliche Berufe sind Teil des Volkes Gottes

Wir sind auf dem Weg von einer Volkskirche zu einer Kirche des Volkes Gottes (Kardinal Marx). Die dogmatische Konstitution des II. Vatikanischen Konzils „Lumen Gentium“ entwickelt eine Theologie des Volkes Gottes. Alle Glieder der Kirche sind gemeinsam auf dem Weg und haben eine gemeinsame Sendung, bevor das Konzil dann die spezifischen Dienste und Ämter in den Blick nimmt. Angesichts der unterschiedlichen Gaben in der Kirche haben wir es nicht mit der Konkurrenz zwischen „Profis“ und ahnungslosen „Laien“ zu tun. Das Konzil weiß um die Tatsache, dass alle Getauften Charismen (d.h. Geistesgaben) besitzen, die dem Ganzen der Kirche und ihrer Sendung dienen. In ihrem Text „Gemeinsam Kirche sein“ haben sich die deutschen Bischöfe 2015 damit beschäftigt, welche konkreten Folgen dies für den kirchlichen Alltag haben solle. Es ist mehr als eine Floskel, wenn sie davon sprechen, dass jeder Christ und jede Christin durch die Taufe eine eigene Berufung hat. Diese Berufung zeigt sich in den vielen Charismen, die zum Aufbau der Kirche als Gemeinschaft dienen sollen. Grundsätzlich sind auch die Hauptamtlichen Teil dieses Organismus der Kirche. Alle sind aufeinander verwiesen. Das bischöfliche Schreiben erinnert an das gemeinsame Priestertum aller Getauften: „Die priesterliche Würde aller Getauften kann weder durch Ämter oder Dienste noch durch Berufungen oder Beauftragungen einzelner Christen gesteigert oder überboten werden.“ (S. 35). Das heißt: Weder der Priester noch andere Hauptamtliche zeichnen sich durch ein „Mehr“ an Berufung oder Gaben aus, sondern durch einen besonderen Dienst für das Gelingen des Ganzen. Auch der Leitungsdienst steht im Dienst aller und hat dafür Sorge zu tragen, dass die Charismen aller für das Ganze der Kirche fruchtbar werden können. Das ist der Hauptaspekt kirchlicher Leitungsaufgaben, die besonders die Hauptamtlichen innehaben können. Mehr als früher braucht es nicht den starken Einzelkämpfer, sondern den glaubenden Menschen, der sich im Dienst des gesamten Leibes der Kirche sieht. Heute kann man nicht in der Kirche arbeiten ohne ein „kooperatives Miteinander von Priestern und Laien.“ (S. 47). Dieses Miteinander gestaltet sich nicht allein zwischen den hauptamtlichen kirchlichen Berufen, sondern auch zwischen Haupt- und Ehrenamt. Im Rahmen einer Charismenorientierung wird auch der Begriff des Ehrenamts zumindest problematisch. Ehrenamtliche oder Menschen, die sich in der Kirche engagieren, sind nicht einfach Handlanger des Hauptamtes, sondern genauso Geistträgerinnen und –träger. Auch sie sind zu allen Menschen gesandt und stehen im Dienst der Sendung der Kirche. Es ist für manchen eine Herausforderung, dieses Miteinander zwischen Haupt- und Ehrenamt zu leben. Alle Kompetenzen und Geistesgaben müssen in einem Austausch stehen, alle lernen und leben von den Glaubenserfahrungen der anderen. Es wird zunehmend Aufgabe aller Hauptamtlichen in den kirchlichen Berufen werden, auf die Suche nach den Geistesgaben zu gehen, sie zu unterstützen, zu fördern, zu qualifizieren und zu begleiten. Ein Teilprojektteam auf dem Pastoralen Weg des Bistums Mainz formuliert folgende Grundhaltungen der Menschen in kirchlichen Berufen angesichts der vielen Gaben in der Kirche: Arbeit im Team vernetzt gestalten, in das Können anderer vertrauen, Kompetenzen beachten und anerkennen, die Beteiligung vieler entsprechend ihrer Charismen ermöglichen, Professionalität absichern durch konsequente Fortbildung und Personalentwicklung. Kommunikative Kompetenzen, Koordination, Teilen von Verantwortung, die Fähigkeit zur Schwerpunktsetzung werden wichtige Voraussetzungen für den kirchlichen Beruf werden oder sind es bereits. Für die Hauptamtlichen bedeutet dies die Ausbildung verschiedener Kompetenzen: Fach- und Leitungskompetenz, soziale und kommunikative Kompetenz, personale Kompetenz, die sich in vielen Facetten zeigen soll. Das Ganze braucht ein eigenes geistliches Leben, geistliche Begleitung und ständige Erneuerung. Mir scheint, diese wenigen Gedanken zeigen, dass es wohl kaum eine Begabung geben dürfte, die in einem kirchlichen Beruf nicht zur Geltung kommen kann. Dies macht diese Berufe so herausfordernd und interessant zugleich.
Nach diesen allgemeinen Überlegungen sollen nun die einzelnen Berufe kurz in den Blick genommen werden.
 

Der Priesterberuf

Nicht erst durch die Instruktion der römischen Kleruskongregation „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ (veröffentlicht im Juli 2020) ist besonders die Rolle des leitenden Pfarrers in den Fokus der Aufmerksamkeit gekommen. Dem Kirchenrecht entsprechend erinnert die Kleruskongregation an die Notwendigkeit, dass die Pfarreien von einem Priester geleitet werden (can 517 §1 CIC 1983). Dahinter steckt die Sorge, dass durch die derzeitigen Strukturveränderungen in den Bistümern, nicht nur in Deutschland, die sakramentale Grundstruktur der Kirche vergessen werden könnte. Christus garantiert durch die Weihe seine sakramentale Gegenwart in der Kirche. Christus zu vergegenwärtigen und seine Nähe zu vermitteln, besonders in den Sakramenten, ist neben der Ermöglichung christlichen Lebens für alle Getauften die eigentliche Aufgabe des Priesters. Die Instruktion erinnert an die Seelsorge als eigentliche Aufgabe des Pfarrers. Er ist der Hirte der Pfarrei. Die Vergrößerung der Pastoralräume ist dabei allerdings eine Herausforderung. Da der Pfarrer auch Träger der Rechtsgeschäfte und der Verwaltung ist, drückt die Sorge, dass er neben diesen Tätigkeiten kaum noch Raum für Seelsorge hat und zunehmend zum Manager wird. Die Sorge ist sicher nicht unbegründet. Die Bistümer versuchen, durch professionelle Verwaltungseinrichtungen gegenzusteuern. Die größeren Räume bedeuten auch die Gefahr, dass dem Pfarrer eine Beheimatung erschwert wird. Man sollte allerdings auch die Chancen sehen. Die Arbeit in einem größeren Team, die geteilte Verantwortung mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann auch eine erhebliche Entlastung sein und den Priester aus der Vereinzelung holen. Es ist dringend zu empfehlen, dass der einzelne leitende Pfarrer zugleich in wichtigen Seelsorgefeldern präsent bleibt. Leitung einer Pfarrei kann man unterschiedlich verstehen. Das ist sicher auch eine Frage des eigenen Selbstverständnisses, des Charakters und einer geistlichen Haltung. Umfragen haben ergeben, dass sich die leitenden Pfarrer als Manager, Moderator, Leiter, Chef, Inspirator, Begleiter oder „Sakramentenautomat“ verstehen können. Es wird darauf ankommen, Leitung geistlich zu gestalten und andere einzubinden. Es ist m.E. ein Irrweg, den Priester vorrangig durch die Leitungstätigkeit zu definieren. Viele leitende Pfarrer erleben ihren Beruf als erfüllend. Allerdings gibt es gerade in den größer werdenden Räumen die Erfahrung einer Krise der Priester, die nicht (mehr) in leitender Stellung sind. Da bedarf es der Erinnerung an die sakramentale Dimension des Priestertums, die priesterliche Identität nicht vorrangig an Verwaltung und Machtthemen festmacht. Die Aufgaben des Hirten können sich in vielen anderen Feldern zeigen: in den Aufgaben der kategorialen Seelsorge wie der Kranken-, der Jugend- oder der Schulpastoral sowie in vielen seelsorglichen Feldern, in denen Priester eingesetzt werden können, ohne selbst leitende Pfarrer sein zu müssen.

 
Der Beruf des Pastoralreferenten/der
Pastoralreferentin


Nach einem vollen Theologiestudium gehen Frauen und Männer in diesen Seelsorgedienst. In den sich verändernden Pastoralstrukturen wandeln sich auch deren Berufsrollen. Dies wird in den einzelnen Diözesen sehr unterschiedlich sein. Im Bistum Mainz war diese Berufsgruppe bisher vorrangig in kategorialen Feldern eingesetzt. In Zukunft wird sicherlich die Vielfalt größer werden, und wir werden mehr auf die Charismen einzelner schauen müssen. Im Sinne geteilter Leitung werden die Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten mit leitenden Aufgaben in der Pfarrei und anderen Feldern betraut werden, die sie in Zusammenarbeit mit dem leitenden Pfarrer und mit klaren Absprachen ausführen werden. Sie werden Gläubige anleiten, ihre Charismen zu erkennen und einzubringen. Begleitung, Motivation und Ermutigung werden zu den Hauptaufgaben gehören. Die Tätigkeitsfelder sind vielfältig, Berufswege werden sich flexibel gestalten. Es wird notwendig sein, Qualifizierungen und Spezialisierungen zu fördern.


Der Beruf des Gemeindereferenten/der
Gemeindereferentin


In vielen Diözesen beinhaltet dieser Beruf die Arbeit in der Gemeindeseelsorge. Viele Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten beklagen die fehlenden Aufstiegs- und Veränderungsmöglichkeiten. Das wird denen, die diesen Beruf ausüben, mit ihren Gaben nicht gerecht. Es werden sich Felder auftun, die über die Gemeindepastoral hinausgehen. Dass dabei auch Tätigkeiten dazugehören, die hohe Kompetenzen erfordern und eigenständige Verantwortung ermöglichen, versteht sich von selbst. Schwerpunktsetzungen werden hoffentlich die Attraktivität dieses wichtigen Berufs erhöhen, Aufstiegs- und Veränderungsmöglichkeiten müssen ermöglicht werden. Diese Berufsgruppe wird in den kommenden Jahren die meisten Mitglieder aus Altersgründen verlieren. Die Bistümer sind gehalten, nicht nur Werbung zu machen, sondern auch die Attraktivität und die Möglichkeiten des Berufs der/des GemeinderefentIn zu erweitern. Durch einen neuen Doppelstudiengang der Sozialen Arbeit/Praktischen Theologie an der Katholischen Hochschule Mainz und an anderen Hochschulen etwa wächst eine Generation heran, die vielfältigere Qualifikationen mitbringt und die so auf die neuen Herausforderungen in Pastoral und Caritas reagieren kann. Die Konzentration auf die Gemeinde allein bricht vielerorts bereits auf.

Die Suche nach neuen Rollen kann nur in einem lebendigen Miteinander gelingen. Dabei darf nicht Konkurrenz, sondern die Suche nach dem gemeinsamen Auftrag und einer gemeinsamen Vision leitend sein. Eines lässt sich sagen: die Berufe werden anspruchsvoller, aber dadurch auch spannender. Im Letzten sind sie die Antwort auf einen persönlichen Ruf in die Nachfolge Christi. Menschen dabei zu helfen, ihre eigene Berufung zu erkennen und zu leben, ist eine große Aufgabe und eine erfüllende Lebensaufgabe.




Bischof Peter Kohlgraf
Peter Kohlgraf, Dr. theol., 1993 Priesterweihe, 1999 bis 2010 Religionslehrer und Schulseelsorger, 2013 bis 2017 Professor für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz. Seit 2017 Bischof von Mainz. Mitglied der Kommissionen „Bildung und Schule“ und „Ehe und Familie“ der Deutschen Bischofskonferenz.